Terroiristen allüberall?

Fortschritte soll man nicht kleinreden. Wann gab es schon mal eine so hohe Anzahl an erstklassigen und individuellen Weinen wie heute? In den letzten 30 Jahren sind weltweit immer mehr Weinregionen aus dem Dornröschenschlaf erwacht und bieten der anspruchsvollen Kundschaft zahlreiche Weine mit hohem Qualitätsanspruch. Dank der Aufgeschlossenheit einer neuen Winzergeneration, die über den eigenen Tellerrand hinausschaut, international Erfahrungen sammelt, sich moderner Technik bedient und auf die eigenen regionalen Wurzeln besinnt. Eine Rückbesinnung auf traditionell verankerte Rebsorten, penible Weinbergsarbeit und, nun ja, das Terroir.

terroir3.jpgTerroir ist in aller Munde.  Nicht zum ersten Mal haben sich letztes Jahr in Südfrankreich ambitionierte Winzer zu  Terroiristen zusammengeschlossen. Um gemeinsam, der Name ist Programm, ein Qualitätskonzept zu vertreten, das auf den natürlichen lokalen Gegebenheiten der jeweiligen Weinlage beruht.

Kaum eine Lobeshymne auch in Deutschland, die ohne diesen Begriff  auskommt. Zwar mag dessen Aussprache manchem auch nüchtern Kieferknirschen verursachen. Eigentlich sollte er jedoch viel eher die Speichelflutung des Rachenraums in Vorfreude auf besonders markante Mineralität bewirken. Wasser marsch bzw. Kauf-den-Wein-zu-jedem-Preis, so jedenfalls der Imperativ der Marketingstrategen, die den Begriff der Lage aufgrund seiner bescheideneren poetischen Qualität  gerne vermeiden.

Nicht ganz zu unrecht. Dass die Lage – also der Boden, die geologischen und klimatischen Verhältnisse – auf den Weingeschmack einen Einfluss hat, kann sich jeder vorstellen, auch wenn sich das die wenigsten Konsumenten klarmachen.  Terroir dagegen hat nach Meinung vieler darüber hinaus noch etwas anderes zu bieten: eine Philosophie, die, wenn es sie nicht schon seit längerem gäbe, dringend erfunden werden müsste: Die „Terroirbewegung als kulturelle Avantgarde“, als Rückgewinnung der Individualität landwirtschaftlicher Produkte in Zeiten globalisierter Uniformität (Reinhard Löwenstein: Die Zukunft liegt im Terroir). Andere gehen in ihrer Begriffsbestimmung nicht so weit – wer sich über die verschiedenen Interpretationen ein genaueres Bild machen möchte, findet hier eine wunderbare (englisch-sprachige) Diskussion dazu.

Dem Terroir in den Weinen mehr Geltung zu verschaffen bedeutet in jedem Fall für den Winzer, die natürlichen Gegebenheiten bei der Weinbergsarbeit stärker einzubeziehen. Mehr Aufwand für ein besseres Ergebnis.
Wer nun aber glaubt, dieses einnehmende Konzept in Europas Weinen mühelos erkennen zu können, steht unversehens vor neuen Rätseln: Schmeckt mir dieser Wein jetzt wegen seines Terroirs? Kommt das würzige Aroma denn vom Terroir  oder doch von der Rebsorte? Und, niederschmetternd genug, die wohl häufigste Frage: Hat der Winzer jemals etwas von diesem Begriff gehört?

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