Weinfreunde und ähnliche Spezies

Nein, das soll nicht die x-te Ausführung zu bestimmten Weinen, Jahrgängen, deren Bewertung oder Verfügbarkeit sein. Nicht um Marketing geht es, sondern um das, was Wein überhaupt zu einem Thema macht.

Was genau treibt uns eigentlich zum Entkorken einer Flasche?
Welche Gründe bewegen uns, viel oder wenig Geld für ein ziemlich flüchtiges Erlebnis auszugeben?

Die Antworten sind so vielfältig, wie der Wein Facetten hat. Um solche, die vielleicht nicht sofort auf der Hand liegen, ohne die aber das Faszinosum Wein gar nicht verstanden werden kann, soll es hier gehen.

Um grundsätzliche Fragen kommen wir dabei nicht herum.

  • Warum trinken wir Wein?
  • Was stellt Wein mit uns an?
  • Was sind wir nur für Menschen?
  • Warum tun wir es wieder und wieder?

Zunächst mal: Weintrinker sind Menschen. Deshalb gibt es viele Rollenmuster. Sie sind Sammler oder Trinker. Konsument oder Gourmet. Sie brauchen einen geduldigen Freund auf der Parkbank oder ein edles Statussymbol neben der gestärkten Stoffserviette. Weintrinker interessiert entweder das Etikett oder der Inhalt. Und manchmal auch nur die Umdrehungen. Weinfreunde sind sie also alle. Auch wenn nicht zwangsläufig meine.

Der Etikettentrinker
ist das verachtungswürdigste Geschöpf auf Erden. Er würde sich nie ein eigenes Urteil erlauben. Allerdings nicht aus vornehmer Zurückhaltung, sondern aus völligem Desinteresse. Nie würde er einen Wein erwerben, weil er ihm schmeckt. Völlig hilflos in dieser Hinsicht braucht er das Urteil eines namhaften Kritikers. Dessen veröffentlichter Kommentar ist dann der Startschuss zur Schnäppchenjagd, die bedauerlicherweise für den echten Weinfreund meist genau dann zu Ende ist. Denn von jetzt an ist die Zeit der günstigen Preise vorbei. Wie gut, dass es einige Handvoll Top-Brands gibt, die auf Kritikerlob ein Abonnement besitzen. Diese Weine kann der Etikettentrinker dann einfachheitshalber gleich blind kaufen. Auch wenn das Blind-Verkosten, also der Vergleich einer solcherart renommierten Flasche mit Weinen ähnlicher Qualität, so einer tauben Nuss natürlich nie einfallen würde. Schließlich könnte der Etikettenwein glatt durchfallen. Und die Etikette muss selbstverständlich gewahrt, äh bewundert werden.

Dabei gibt es eine Reihe respektabler Gründe Wein zu trinken. Die Liebe zum Beispiel. Manch ein Wein lädt geradezu zu einer Liebeserklärung ein. Ein ungeheuer attraktiver Wein ist beispielsweise elegant oder elegisch, filigran, riecht aber nur selten nach Filterkaffee. Finesse statt Finsternis ist aber kein Plädoyer gegen farbtiefe Kraftprotze aus Down Under oder sonst woher. Muskulös darf ein attraktiver Wein schon sein, jugendlich ungestüm sowieso, auch wenn manche(r) sich mehr in reifere Altersmilde verguckt. Bodenständigere Typen stehen vielleicht eher auf die unkomplizierte Rustikalität eines schlichten Gemüts. Der Markt ist riesig und wer hier alleine bleibt, dem ist nun wirklich nicht zu helfen.

Prostitution
gibt es allerdings auch. Weine, die billiges Parfüm auftragen und sich zu Dumpingprodukten dem bei käuflichen Freuden Unerfahrenen in den Schoß werfen. Die die schöne falsche Fassade mit dem duftenden Blumenschmuck dem schnell benebelten Freier entgegenhalten. Bis sie bröckelt und er Bröckele lacht. Bzw. bricht.

Die Liebe ist also ein zwiespältiges Motiv für den Weingenuss. Überhaupt hält sie immer nur für kurze Zeit. Und die Pausen, bis zum nächsten Mal so eine vergötterte Flasche geöffnet wird, können ekelhaft lange werden. Mancher richtet da lieber einen Schrein für seine Lieblingsflaschen in seinem Keller ein. Zwei Kerzen rechts und links, davor ein Schemelchen. Am besten abseits nicht-artgerechter Massenweinhaltung, bei der Korkverschlüsse dicht gedrängt neben Glaskorken und Schraubverschlüssen in endlos langen Reihen nebeneinander gepfercht liegen.
Ein würdevoller Alterssitz für Weine mit großem Potential. Für einen Trollinger wohl ein vergeblicher Traum.

Emotionen,
darum geht es natürlich vor allem. Wer schlecht gelaunt einen großen Burgunder öffnet, wäre in diesem Moment vielleicht mit einem Schwarzriesling aus der nächsten Genossenschaft besser bedient. Wer von seinem Ärger nicht lassen kann, schafft es nicht, die vielen kleinen Aromenantennchen auf Empfang zu stellen. Guter Wein hilft nicht bei Übellaunigkeit. Und Alkohohl geht auch billiger …

Wessen Laune aber vielleicht eher unbestimmt ist, dem kann großer Wein zu wahren emotionalen Höhenflügen verhelfen. Wie bei einem Gedicht, das einen unmittelbar anspricht, ohne dass einem sofort klar wäre, was das Berührende daran eigentlich ist, muss wahrer Genuss langsam erarbeitet werden. Mehr als dominante Fruchtaromen in der Nase gibt so ein Wein nur preis, wenn ihm viel Zeit und Mühe geschenkt wird. Im Glas, schwenkend vor der Nase und am Gaumen sowieso. Verborgene Aromen und Bedeutungen haben eines gemeinsam. Sie müssen behutsam geborgen und bewusst gemacht werden. Nur dann ist das größtmögliche Vergnügen möglich. Genau an diesem Versuch erkennt man immer noch am zuverlässigsten den echten Weinfreund. Für alle anderen gibt es schöne Etiketten.

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